Ecuador vermittelt auf vergleichsweise kleinem Gebiet einen umfassenden Eindruck von der landschaftlichen Vielfalt, dem breiten klimatischen Spektrum und der abwechslungsreichen Flora und Fauna Südamerikas insgesamt. Die bis zu 6300 Meter hohen Vulkane sind teils noch aktiv. Sie bilden die Kronen der andinen Gebirgsketten. Es war eine meiner härtesten Reise die ich bis dato unternommen habe. Ecuador ist nicht gerade das Land, das man mit dem Fahrrad bereist - es ist eher ein Land für Bergsteiger, denn man findet außer der Küste keine ebenen Straßen, es geht immer wieder rauf und runter. Eine Tour in den Anden fordert eine sehr hohe Anforderung an Fitness und Kondition. Allein durch die vielen verschiedenen klimatischen Bedienungen, den hohen Anstiegen und langen Abfahrten sowie dem unwegsamen Gelände werden Körper,Geist und Material bis aufs Letzte gefordert. Solche Anstrengungen habe ich noch gut in Erinnerung von meiner letzten Andenreise 2007 in Venezuela, deswegen habe ich mich heuer noch besser auf die Tour vorbereitet, mein Trainingspensum erhöht, viele Langstrecken in meinen Trainingsplan eingebaut, bin bis über 500 km in 24 Stunden nonstop geradelt, unternahm Ausfahrten bis nach Istrien an einem Tag (385 km). Auf der Teichalm, am Gaberl, dem Schöckel und am Kulm holte ich mir die Kraft in meine Beine. Um ein Touren-Bike (Gesamtgewicht inkl. Ausrüstung: 50 kg.) in den Anden zu bewegen, kann man nicht genügend Kraft und Kondition haben: die Höhen um 5000 Meter machen das Radeln extrem schwierig und mühsam (Gefahr der Höhenkrankheit). Allein schon der Flug stand unter keinem guten Stern. Wir starteten in Amsterdam und mussten nach einem dreistündigen Flug am Atlantik umkehren wegen eines Technischen Gebrechens. Ohne die Boing verlassen zu können, starteten wir wieder nach einer zweistündigen Reparatur. Endlich sind wir nach einem 22-stündigen Flug am Internationalen Flughafen Aeropuerto Mariscal Sucre in Quito die Hauptstadt von Ecuador auf 2800 Meter gelandet. Am Flughafen angekommen das nächste Problem: eine Ausrüstungstasche von meinem Radkollegen Heiner fehlte, somit verzögerte sich unsere Reise um weitere zwei Tage. Ausgangspunkt unserer Reise war La Mitad del Mundo (Die Mitte der Welt), ein Äquatormonument ca. 20km nördlich von Quito - eines der vielen Höhepunkte auf dieser Tour. Es ist ein besonderes Erlebnis wenn man mit einem Bein auf der Nord und dem anderen auf der Südkugel der Erde steht. In der Nähe des Äquators liegt der Ort Otavalo wo der größte Kunsthandwerksmarkt von Ecuador stattfindet. Wöchentlich samstags werden die in Handarbeit hergestellten Waren der Indianer aus dem ganzen Land feil geboten. Es ist eine Faszination an Farbenpracht der traditionellen Kleidung und Webkünste. Weiter ging es dann zum höchsten noch aktiven Vulkan, dem Cotopaxi, mit einer Höhe von 5897 Metern. Leider war das Wetter nicht auf unserer Seite: es regnete die ganze Nacht und in der Früh war nur noch dichter Nebel. Einheimische berichteten uns, dass es ab 4000 m schneit und es keinen Sinn mache den Vulkan hoch zu radeln bei eisiger Kälte und Schneegestöber. Mit etwas Glück könnten wir am nächsten Tag, aus weiter Ferne den schneebedeckten Gipfel des Cotopaxi sehen. Um nicht noch einen Tag zu verlieren mussten wir den Cotopaxi hinter uns lassen und weiter radeln. Im Hochland besuchten wir Indios-Dörfer auf 4000 m. Die kleingewachsen, etwas zurückhaltenden Indianer leben sehr bescheiden mit ihren Familie in kleine Hütten, leben von Lamas und der Viehzucht und ihrer traditionellen Webkunst. In ihren Gesichtern spiegelt sich das rauhe Andenklima in eisiger Höhen wieder. Die eindrucksvolle Fahrt vom Hochland entlang des Pastaza Flusses und ein Abstecher ins Amazonastiefland östlich der Anden war eine einzigartige Gelegenheit die Faszination des Regenwälder zu erleben. Von Macas aus ging es Richtung Riobamba. Dieser Teil der Route war nur Piste und teilweise unfahrbar, da laufend ein Erdrutsch nach dem anderen den Weg versperrten. Zu unserem „Glück“ hatten wir wieder Regen, was die Sache noch beschwerlicher machte. In Riobamba angekommen war Priorität Nummer eins unsere Ausrüstung wieder auf Vordermann zu bringen, von Schlamm und Dreck zu reinigen, etwaige Schäden zu reparieren und unsere Vorräte an Wasser und Nahrung wieder aufzufüllen. Für unser körperliches Wohl mieteten wir uns ein Zimmer mit Dusche, unsere Isomatte tauschten wir nach langer Zeit wieder einmal gegen ein Bett. Unsere leeren Akkus füllten wir mit Huhn, Reis und Bier. Denn entlang der Strecke aßen wir hauptsächlich gegrillte Meerschweinchen, das ist eine Leibspeise im ländlichen Bereich von Ecuador. Wieder gestärkt und nach einem Tag Pause hatten wir unser Ziel vor den Augen: Den Vulkan Chimborazo mit 6310 m vor uns, mussten wir auf 4400 m hoch radeln, um auf die auf 4600 m gelegene Basishütte zu gelangen. Beim Anstieg zum Chimborazo war die Wetterlage noch sehr konstant aber laut meinem Barometer am GPS Gerät kündigte sich eine Schlechtwetterfront an. Wir besprachen uns kurz, ob wir weiter fahren oder umkehren sollen. Wir entschieden uns zur Weiterfahrt - was im Nachhinein ein großer, fast fataler, Fehler war. Bei 2500 Meter fing es stark zu Regnen an und es wurde immer kälter, sodass einem samt Regenkleidung und Fließpullover fror. Der Regen wurde immer heftiger und es kam noch Nordwind auf,der das fahren fast unmöglich machte. An diesem Streckenabschnitt gab es keine Möglichkeit Unterschlupf zu finden. Hanka und ich erhöhten unser Tempo, um so schnell wie möglich die rettende Hütte am Basislager zu erreichen. Durch unser höheres Tempo wurde der Abstand zum Rest der Gruppe immer größer, das machte uns aber keine großen Sorgen, denn für uns war klar: Wir treffen uns in der Hütte. Als wir auf einer Höhe von 4000 Meter waren lies der Regen nach aber es kam so dichter Nebel auf. So etwas hatte ich zuvor noch nie erlebt. Hanka, der hinter mir fuhr, sah auf 3 Meter Entfernung mein Hinterrad nicht mehr. Durch die Sichtbeeinträchtigung haben wir diese verdammte Abzweigung zur Hütte nicht gefunden. Der leichte Regen wurde auf einer Höhe von 4300 Meter zu Eisregen, vermischt mit Wind peitschten uns Eiskristalle ins Gesicht, was nadelstichartige Schmerzen verursachte, der Blick auf das Thermometer zeigte bereits minus 6 Grad. Als es dann noch zu schneien begann mussten wir so schnell wie möglich etwas unternehmen um hier in den Anden nicht zu erfrieren, obwohl wir wussten, dass die Hütte nicht weit von uns entfernt sein konnte. Wir mussten unser Zelt bei Schneefall aufstellen, um endlich aus unseren durchnässten Kleidern rauszukommen und nicht an einer Lungenentzündung zu erkranken. Es war eine der kältesten Nächte in meinem Outdoor-Leben. Da meine trockene Kleidung ziemlich aufgebraucht war, musste ich über meine trockenen Sachen wieder die nassen Kleider anziehen und in den Schlafsack kriechen um meinen Körper warm zu halten. Meine Gedanken waren die ganze Nacht über bei dem Rest der Gruppe. Hatten sie die schützende Hütte erreicht? Sind sie über den Pass gekommen? Oder haben sie bei den Indianern Unterschlupf bekommen oder sogar umgedreht? Das Bild vor Augen, dass sie in den Anden erfroren seien hatte ich nicht, da wir alle erfahrene Weltenbummler sind und jeder ein Zelt als Standardausrüstung dabei haben musste. Kurz vorbei am Chaos,war am nächsten Morgen das Schlechtwetter vorbei und es gab eine tolle Aussicht zu den in ein Schneekleid gehüllten Chimborazo, der den Stress am Vortag vergessen lies. Wo aber waren die anderen? Ich fuhr dann zur so ersehnten Hütte, sie war nur 2 km von unserem Zeltplatzes entfernt. Von einem Indio erfuhr ich dann, dass kein Radler letzte Nacht hier gesehen wurde. Da wir nicht wussten, ob sie vor oder hinter uns waren, haben wir beschlossen den letzten Teil der Tour alleine zu fahren, in der Hoffnung, sie auf der Strecke wieder zu treffen aber spätestens am Flughafen beim Rückflug nach Hause. Schön langsam verloren wir an Höhe. Es ging 40 km bergab, bis nach Guaranda auf 2700 km. Erst hier wurde das Klima angenehmer - im Längstal der beiden parallelen Andenketten. In San Miguel bogen wir ab Richtung Norden, wo wir uns auf Schotterpisten regelrecht hochschraubten, an Spitzbergen bis 3600 km, vorbei an gewaltigen Bananenplantagen und Kartoffelfeldern, die so steil sind, dass sich die Bauern mit Seilen sichern mussten. Bei der 35 km langen Abfahrt Richtung Babahoyo, das nur mit Allrad-Fahrzeugen (wenn überhaupt) zu befahren ist, trat wiederum ein Problem auf: durch ständiges Bremsen bei so einer enormen Steilheit wirkt sich das Gewicht von Rad und Ausrüstung derartig aus, dass die Felgen so heiß wurden, dass es einen Reifenplatzer nach dem anderen gab. Als wir auch dieses Problem für uns gelöst hatten,fuhren wir die Panamerikaner entlang bis nach Guayaquil, der größten Stadt Ecuadors mit 3 Millionen Einwohner, wo auch unsere Reise endete. Die Landschaft bis dorthin wechselte ständig von Bananen-, Mango-, Kakao-, Kaffee- und Baumtomaten-Plantagen sowie Reisfeldern. Diesen Reiseabschnitt konnte ich sehr genießen, denn es ging bis zur Küste am Pazifischen Ozean immer abwärts. Man merkte dann bald, je weiter man in die Nähe der Zivilisation kam, dass das Verkehrsaufkommen immer stärker wurde - die stinkenden fahrenden Rauchbomben der LkWs und Busse, die einen immer wieder ans Bankett drängten, mit dem Vorsatz: der Stärkere gewinnt. Vorsicht war geboten: die aggressiven Hunde, die es besonders auf Radfahrer abgesehen haben, konnte man nur mit Stöcken davon abhalten einen zu beißen. Je weiter man in die Slums-Gebiete der Großstadt vordrang desto größer wurde auch die Kriminalität. Ab sofort suchten wir immer noch vor Dunkelheit ein Zimmer für die Nächtigung. In Guayaquil angekommen fuhren wir mit dem Rad ins Zentrum, was der reinste Höllenritt war. In einer Großstadt mit 3 Millionen Einwohnern zu radeln wo Klimawandel und Umweltbewusstsein noch Fremdwörter sind, wo Radfahrer und Fußgänger keinen Platz in Straßenverkehr haben - das ist Ecuador. Bis wir aber unser Endziel im Zentrum von Guayaquil, De Plaza Simon Bolivar, erreicht hatten, fuhren wir mit eigener Muskelkraft ca. 1100 km, unzählige Steigungen und Pässe von bis zu 25%, immer wieder rauf und runter. Wir radelten durch verschiedene Klimazonen, Temperaturen von minus 11 Grad, an den Schnee bedeckten Gebirgsketten mit sehr starken Gebirgswinden bis hin zum feuchtheißen Tropenklima im Regenwald und unerträglicher Hitze an der Küste sowie einige regelmäßige heftige Niederschläge, die uns die ganze Tour begleitet haben. Am Abflugtag trafen Hanka und ich den Rest der Gruppe am Flughafen, alle wohlauf und gesund. Sie hatten die vermeintliche Nacht auf 3000 Meter etwas gemütlicher als wir in einer kleinen beheizten Indianerhütte verbracht.
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